Paar-Muster
wiederkehrende destruktive Konfliktverläufe in Beziehungen

Wahrscheinlich kennen Sie das auch: Immer wieder kommen Sie im Umgang, in der Kommunikation miteinander an einen Punkt, an dem Sie sich verhaken, eine Abwärtsspirale, aus der Sie fast nicht wieder heraus kommen. Sie verletzen sich gegenseitig, und es ist, als ob es jedes Mal nach dem selben Programm abläuft, dessen verborgenes Drehbuch Sie aber nicht kennen.

Wir möchten Ihnen hier ein paar Hinweise aus unserer praktischen Arbeit in der Paartherapie geben, wie Sie in Zukunft doch immer besser aus dieser Spirale wieder heraus finden.

Zunächst ist aber die Frage zu beantworten: Was läuft da eigentlich ab?

Schauen wir uns beispielhaft einmal an, wie das Paar-Muster von Ulrike und Stefan funktioniert. Es kann zum Beispiel sein, dass er abends nach Hause kommt, und sie in der Küche vorfindet. Sie bereitet gerade ein Abendessen vor. Er geht zu ihr, gibt ihr einen Kuss, geht ins Wohnzimmer, schaltet den Fernseher ein und setzt sich davor.

Ulrike kommt aus der Küche mit dem fertigen Essen. Sie hat bereits den Tisch schön gedeckt und sagt ihm, dass das Essen jetzt fertig ist. Er reagiert kaum, ist ganz absorbiert von seinem Programm, eine Fußball-Liveübertragung. Sie wird deutlicher, er ist gereizt: „Ich habe mich den ganzen Tag auf das Spiel gefreut.“ Sie: „Wir haben doch verabredet, dass wir uns Mittwoch abends Zeit für uns nehmen.“ „O je,“ sagt er, „ist heute Mittwoch?“ Und jetzt flippt sie aus. „Da beschließen wir etwas, was unserer Beziehung gut tun soll, und der Herr vergisst das einfach! Es ist dir ganz egal! Ich bin dir egal! Dann kann ich ja gleich alles hinschmeißen!“

Und jetzt im Anschluss geht es weiter, wie die meisten Auseinandersetzungen der beiden weiter gehen. Er verstummt, spricht nicht mehr, zieht sich zurück. Sie kommt, fordert eine Stellungnahme von ihm und wird immer wütender und verzweifelter. Schweigend und missmutig gehen sie schlafen. Am nächsten Morgen ist immer noch schlechte Stimmung.

Hier verlassen wir die beiden in der Gegenwart. Um zu verstehen, was da eigentlich passiert, müssen wir ziemlich weit zurück gehen in die jeweilige Geschichte der beiden Beteiligten.

Warum flippt Ulrike so aus? Wir könnten sagen, das ist ja auch ein starkes Stück, dass er den gemeinsamen Abend vergisst. Kein Wunder, dass sie sich aufregt. Nur, ähnlich flippt sie auch bei nichtigeren Anlässen aus. Wir fragen Ulrike, wie sie sich gefühlt hat, als Stefan sagte, dass er nicht an den gemeinsamen Abend gedacht hat. Sie muss nicht lange nachdenken: Es macht mich so wütend, weil ich dann glaube, dass unsere Beziehung ihm nicht wichtig ist. Ich bin ihm nicht wichtig. Er nimmt nicht ernst, was wir verabreden. Dann fragen wir, ob sie so ein Gefühl von früher kennt, sich nicht wichtig genommen zu fühlen. Auch hier hat sie ganz schnell die Antwort. Sie war die jüngste Schwester, und das, was ihr wichtig war, wurde oft von den Eltern nicht gehört. Sie arbeiteten viel, um den Kindern etwas zu ermöglichen und hatten in der knappen Freizeit nicht wirklich ein Ohr für ihre Tochter. Sie fühlte sich dann unwichtig und ungeliebt.

Dieses Gefühl von Unwichtigsein und Ungeliebtsein wird in der Auseinandersetzung mit Stefan wieder wach. So ist es meist, wenn die Reaktionen heftig sind, heftiger als der aktuelle Anlass es vermuten lassen würde. Ein alter Schmerz wird unbewusst wieder spürbar. Wir glauben, der andere hat den Schmerz verursacht, und merken nicht, dass es zusätzlich etwas Altes, noch nicht Verwundenes im eigenen Inneren ist.

Wenn der alte Schmerz spürbar wird, kommt – wieder völlig unbewusst - parallel auch unsere früh gelernte Schutzreaktion zum Vorschein. Ulrike kann Stefan nicht in seinem Rückzug lassen. Sie geht immer wieder auf ihn los, als wollte sie ihn schütteln, dass er doch endlich auf sie reagiert und sich zeigt. Als Kind bekam sie Reaktionen von ihren Eltern immer nur dann, wenn sie den Kontakt vehement eingefordert hat. Dann wurde sie wahrgenommen und man hörte ihr zu.

Diese alten Erfahrungen sind prägend für unser späteres Leben und insbesondere für unser Verhalten in emotional unsicheren Zuständen. Es ist wie ein Programm, das für eine bestimmte Situation geschrieben wurde, und das automatisch in allen Situationen abläuft, die sich ähnlich anfühlen. Nur ist das gelernte Verhalten im späteren Leben oft nicht mehr hilfreich, wenn nicht gar kontra-produktiv. So lange wir es uns aber nicht bewusst gemacht haben, wird es immer wieder nach dem alten Muster ablaufen.

Das ist die eine Seite, die von Ulrike. Nun haben wir ja auch noch die Reaktion von Stefan. Ulrike geht auf ihn los und fordert ihn auf, sich doch endlich zu zeigen und sie wahrzunehmen. Doch je mehr sie einfordert, desto mehr geht er in den Rückzug. Je mehr er sich zurück zieht, desto mehr bedrängt sie ihn. Und so fort...

Wie war es früher bei ihm, wenn es emotional unsicher wurde? Er hatte einen sehr dominanten Vater, der von seinem Sohn stets Höchstleistungen verlangte und für Fehler kein Verständnis hatte. Stefan hatte sich angewöhnt, allen Auseinandersetzungen am besten aus dem Weg zu gehen, da er gegen den Vater grundsätzlich den Kürzeren zog.

Die verbalen Angriffe von Ulrike rufen die Verletzungen aus dieser alten Zeit wieder wach, und das damals unbewusst als hilfreich erlernte Verhalten läuft als Programm - siehe oben - auch heute noch ab. Damit ist deutlich geworden, warum jeder Streit der beiden in der gleichen Spirale von gegenseitigen Verletzungen endet. Wenn die beiden sich die Zusammenhänge klar machen und verstehen, dass der andere sie nicht absichtlich verletzt, sondern aus der unbewussten Schutzreaktion heraus, dann können sie aus dem destruktiven Muster heraus finden.

Die Geschichte von Ulrike und Stefan ist nur ein Beispiel. Paarmuster sind so vielfältig wie Menschen und Beziehungen überhaupt. Es lohnt sich, den eigenen Gefühlen und früh erlernten unbewussten Reaktionen auf die Spur zu kommen.

Diese Schutzreaktionen können wir auch als innere Anteile unserer Persönlichkeit sehen, die in schwieriger Lage die Führung übernehmen. Es ist, als ob zwei bissige Hunde aufeinander losgehen, und es kommt darauf an, dass wir unseren Hund an die Leine nehmen und wieder selbst die Führung in die Hand nehmen. Diesen Teilen von uns geht es nicht um den anderen und die Beziehung! Hier geht es nur noch um den Schutz der eigenen emotionalen Sicherheit! Deshalb müssen solche destruktiven Muster unbedingt unterbrochen werden, sonst untergraben sie letztendlich die Partnerschaft und zerstören die Liebe.

Nora Nägele